Entwässerungsbahnen des Inngletschers

Durch die Tiefenerosion des Inngletschers im Alpenvorland mit der Ausräumung des Stammbeckens und der Zungenbecken entstand die besondere Reliefsituation mit nach innen ins Stammbecken orientiertem Gefälle. Die Entwässerung des Gletschers gestaltete sich dadurch recht kompliziert und die Schmelzwasserströme änderten immer wieder ihren Lauf.

Die nach außen, zentrifugal ins Gletschervorfeld orientierte Entwässerung der Vorstoß- und Maximalstandsphase wandelte sich während der Rückschmelzphasen zur eisrandparallelen, tangentialen Entwässerung zwischen den Endmoränenzügen und orientierte sich schließlich beim Freischmelzen der tief liegenden Beckenbereiche zentripetal nach innen ins Stammbecken. Dort nahm der Inn das gesammelte Wasser des Vorlandgletscherbereichs auf.

Während des Gletschervorstoßes konnte das stark mit Geröll und Schwebstoffen befrachtete Schmelzwasser nach außen ins Gletschervorfeld abfließen, folgte z.T. vorhandenen Flussrinnen, füllte diese mit Schotter (Vorstoßschotter) und schüttete schließlich große Schotterfelder wie die Münchner Schotterebene, das Hohenlindener Feld und die Schotterebene im Inntal auf. Nach einem isländischen Begriff werden die von einem Netz miteinander verflochtener Flussarme durchzogenen Schotterfelder auch als „Sander“ bezeichnet. Beim weiteren Vorrücken überfuhr der Gletscher die eisrandnahen Bereiche dieser Vorstoßschotter, räumte sie teilweise weder aus und überdeckte sie mit Moräne.

Zwischen Hohenlindener Feld und Inntal verhinderten die hoch aufragenden Altmoränen den Schmelzwasserabfluss nach Norden. Hier leitete das Haager Urstromtal das Wasser nach Osten zum Inn.

Auch zur Zeit des Gletschermaximalstandes mit den Endmoränen der Kirchseeoner Phase blieb die zentrifugale, nach außen orientierte Entwässerung aktiv. Über Durchbrüche im Endmoränenwall, die Gletschertore, fand das Schmelzwasser seinen Weg ins Gletschervorland.

Mit dem Zurückschmelzen des Eises auf die inneren Endmoränenstände wurde aber immer tiefer liegendes Gelände eisfrei. Zuerst blieben die zentrifugalen Abflüsse durch die bestehenden Gletschertore noch aktiv und schnitten sich als Trompetentälchen immer tiefer in die Gletschertore und vorgelagerten Sander ein. Ihren Namen erhielten die Trompetentälchen, weil sie sich im Schotterfeld vor dem Gletschertor wie der Schalltrichter einer Trompete erweitern. Der im Trompetental ausgeräumte Schotter wurde vor dem Trichter als flacher Schwemmfächer wieder abgelagert. Mit fortschreitenden Eintiefung nahm das Gefälle im Trompetental immer mehr ab, bis kein zentrifugaler Abfluss mehr möglich war. Das Schmelzwasser suchte sich neue periphere Abflusswege zwischen dem aktuellen Eisrand und den vorgelagerten Moränen, bis dem gesammelten Wasser an wenigen Stellen der Durchbruch nach draußen gelang, während der Ebersberger Phase z.B. in den großen Trompetentäler bei Esterndorf, Kirchseeon, nördlich von Ebersberg und im Inntal.

Besonders ausgeprägt ist die periphere Entwässerung im Vorfeld der Ölkofener Endmoränen entwickelt. Im Westflügel des Inngletschers bildet der Leitzach-Gars-Talzug eine große, durchgehende Talrinne vom Leitzachtal über Feldkirchen Westerham, wo die am Mangfallknie angezapfte und umgeleitete Mangfall zufloss, über Glonn – Moosach – Grafing – Steinhöring ins Steppacher Feld und weiter über die Soyenseerinne in Richtung Gars zum Inn. Im Leitzach-Gars-Talzug strömte also das gesamte Schmelzwasser aus dem Westflügel des Inngletschers, dazu das Schmelzwasser des Leitzachgletschers und über die Mangfall auch das Wasser aus dem Schliersee- und dem Tegernseegletscher nach Osten zum Inn. Die hohe Wasserführung zu dieser Zeit erklärt auch die eindrucksvollen Dimensionen dieses Talzugs, die sich mit den heute darin fließenden, eher kümmerlichen Bächlein nur schwerlich in Einklang bringen lassen.

Analog dazu ist im Ostflügel des Inngletschers die Endorf-Halfing-Rinne entwickelt. Neben dem Schmelzwasser des Inngletschers wurde hier auch das Wasser des Priengletschers, das in der Ur-Prien von Frasdorf über Rimsting und Mauerkirchen zufloss, weiter über Bad Endorf und Halfing in den Raum Wasserburg abgeleitet und mündete zunächst nördlich von Wasserburg zwischen Penzing und Babensham, später südlich von Wasserburg über Eiselfing und Bachmehring in den Inn.

Beim weiteren Abschmelzen des Gletschers im Spätglazial wurden immer größere Teile der Zungenbecken eisfrei. Dem stärkeren Gefälle zu den Zungenbecken hin folgend, wurde der Leitzach-Gars-Talzug nacheinander an mehreren Stellen angezapft und sein Wasser zentripetal in die Zungenbecken hinein umgeleitet. Die erste Anzapfung erfolgte im Steppacher Feld. Das Wasser strömte nun nach Süden ins Ebrach-Zungenbecken und baute bei Edling ein mächtiges Schotterdelta in den frühen Rosenheimer See vor. Danach wurde der periphere Abfluss bei Grafing zentripetal ins Attel-Zungenbecken umgeleitet und schüttete das Delta von Unterölkofen auf. Anschließend nahm das Wasser aus dem noch verbliebenen Teil des Leitzach-Gars-Talzugs bei Moosach einen neuen Weg ins Moosach-Zungenbecken, gefolgt von der Umleitung bei Glonn. Zuletzt verlagerte sich der Abfluss bei Feldkirchen Westerham ins Mangfall-Zungenbecken.

Im Osten schwenkte die Ur-Prien aus der Endorf – Halfing Rinne nach Westen ins Simssee-Zungenbecken um. Weiter nördlich entwickelte sich die Murn als neue zentripetale Entwässerungsbahn.

Durch Gletscherschmelzwasser und das Wasser der umgeleiteten Abflüsse aus den peripheren Rinnen füllten sich die eisfrei werdenden Zungenbecken mit Eisrandseen, die zum Beckeninneren hin vom Restgletscher aufgestaut wurden. Während das Eis in den Zungenbecken sukzessive zurückschmolz, suchte sich das gestaute Wasser immer wieder neue, eisrandparallele Abflussrinnen. So strömte Wasser aus dem Eisrandsee im Moosachbecken durch das Hohenthanner und Tegernauer Tal nach Osten ins Attel-Zungenbecken bei Aßling und von dort weiter durch den Steinkirchener Talzug ins Rettenbach-Zungenbecken zum Rosenheimer See.

Als sich das Eis schließlich bis in das Stammbecken zurückzog und nicht länger den Abfluss aus den Zungenbecken blockierte, entstand am südlichen Rand der Zungenbecken auf der Linie Orthofen-Beyharting-Kronau-Schalldorf der Glonn-Attel-Talzug als periphere Abflussrinne während einer vorübergehend stabilen Eisrandlage. Moosach und Attel folgen bis heute seinem Verlauf. Glonn und Mangfall schwenkten später zentripetal zum eisfrei werdenden Stammbecken hin um und mündeten im Raum Bad Aibling/Kolbermoor in den Rosenheimer See.

Die Eintiefung des Inns im Moränengebiet zwischen Attel und Gars legte den Rosenheimer See schließlich trocken. Die Mangfall mündet heute in Rosenheim in den Inn.