Endlager Toteiskessel

Februar 2020

Inmitten der Idylle des Schachenwaldes bei Haag arbeiten Konrad Lipp und Jonas Garschhammer in einem Toteiskessel. Sie sind dabei das Biotop zu entbuschen, um der fortschreitenden Verbrachung entgegenzuwirken. Konrad Lipp steuert gerade den Greifer seines Frontladers, um Astwerk aus dem Kessel zu entnehmen, als ihm sein Vater Georg sagt: “Dort vorne müsst ihr aufpassen, da liegen Waffen und Munition vom Krieg“.

Mai 1945

Ein brauner Lkw-Planenwagen fährt in den Weinhuberhof der Familie Lipp in Winden. Zwei Männer der SS steigen aus. Ihre Ladung besteht aus Waffen und Munition, die sie loswerden wollen. Die Amerikaner sind bereits in München. Der Lkw samt Material soll am Hof gesprengt werden. Mit diesen Sätzen beginnt Georg Lipp zu erzählen und schildert, was an einem der letzten Kriegstage passiert ist.

Die beiden Männer der SS, die aus München kamen, gehen ins Haus und übernachten dort. Alle Familienmitglieder, auch der 94-jährige Großvater, der Knecht und die Magd sind gezwungen, die Nacht im Stall zu verbringen. Am nächsten Morgen muss Georg Lipps Vater den „Truan“ (hölzernen Wagen) anspannen und die Männer nach Soyen zur Bahn bringen. Die SSler reisen ab, ohne den Lkw zu sprengen. Warum er nicht gesprengt wurde, bleibt ein Rätsel.

„Das brisante Material muss jetzt schleunigst vom Hof, bevor es zu einer Sprengung kommt, oder die Amerikaner die Waffen entdecken“. Solche Gedanken sind wohl Georgs Vater durch den Kopf gegangen, als er nach seiner Rückkehr zu dem Knecht Robert, einem französischen Zwangs­arbei­ter und der Dirn Wanda, einer aus Polen stammenden Zwangsarbeiterin sagt, sie sollen Stroh in den Wagen hineinlegen und das Zeug vom Lkw umladen.

Wenig später fahren sie – zusammen mit Georg – auf dem Wagen voller Panzerfäuste, Granaten, Munition und Gewehren in Richtung Schachenwald. Der Wagen klappert mit den eisenbeschlage­nen Holzrädern auf der holprigen Straße und rüttelt Mitfahrer und Ladung durch. Im Wald geht es einige Buckel rauf und wieder runter bis an die Stelle, wo der Weg ein Toteisloch tangiert. Dort hält der Vater die Rösser an und es wird entladen. Die Kriegswaffen versinken sogleich im moorigen Wasser. Einige Male noch müssen sie zu dem gut einen Kilometer entfernten Toteiskessel fahren, um die ganze Lkw-Landung zu entsorgen.

Damals als 9-jähriger Bub war das alles sehr spannend für ihn, Angst hätte er nicht gehabt, erzählt Georg Lipp. Heute sagt der rege 85-Jährige nachdenklich: „Wir hätte alle vier tot sein können.“

1 „Truan“ in örtlichem Dialekt für Truhenwagen. Der Truhenwagen des Weinhuberhofs war mit niedrigeren Seitenwänden ausgestattet.

Konrad Lipp bei Mäharbeiten am Toteiskessel

April 2022, Autorin: Lucia Karrer